Netzkultur

[No] iPhone, [No] Internet

Wie lebt es sich ohne Smartphone und  ständige Internetpräsenz? Ein kritischer reflektierter Selbstversuch.

Smartphone ade, scheiden tut (nicht?) weh

Letzteres gilt es mir zu beweisen: Klappt der Alltag noch ohne Smartphone. Was verändert sich für mich, wenn ich nicht alle paar Minuten auf mein iPhone gucken kann, eMails checken, im Web surfen, hier etwas spielen, da etwas tappen kann, kein Kartendienst zur Orientierung, keine Kamera für Schnappschüsse. Mindestens bis Ende Februar will ich es durchhalten. Zudem werde ich nun jeden Sonntag komplett auf Computer und Internet verzichten.

Zu diesem Zweck habe ich mir ein gebrauchtes Handy besorgt. Nicht irgendeines, sondern jenes, dass mein allererstes Handy überhaupt war. Das Siemens SL45 aus dem Jahr 2002, mit „zukunftsweisender Java-Technologie“. Da mit dem iPhone auch meine Musik weg ist, die ich grundsätzlich im Ohr brauche, wird zudem mein alter iPod Classic reaktiviert.

Steine des Anstosses

Zugegeben, dieser Ansatz der „Entdigitalisierung“ ist nichts, womit ich nun als Vorreiter da stehe, aber mehrere Dinge haben mich dazu bewogen, nun einfach einmal Nägel mit Köpfen zu machen:

  1. Diskussionen mit Freunden und Arbeitskollegen über die heutige Hektik und ständige Erreichbarkeit
  2. Gespräche über den gesellschaftlichen Bedarf nach „Zeitmanagement“ in Form von Büchern, Seminaren etc.
  3. Meine Lektüre des Buchs „Getting Things done“ von David Allen
  4. Der Film Speed von Florian Opitz
  5. Der generelle Wunsch, wieder „mehr Mensch“ zu sein

Ich bin mir jetzt schon sicher, dass ein dauerhaftes Leben ohne Smartphone bei mir nicht funktioniert. Es bietet für mich einfach zu viele Vorteile, die auf der Hand liegen. Aber ich erwarte mir von meinem Selbstversuch, dass ich mein Nutzungsverhalten ändere und mich wieder mehr auf meine eigenen Fähigkeiten verlasse.

1. Diskussionen mit Freunden

Insbesondere auf Arbeit hatte ich letztens häufiger das Gespräch, wie angenehm es doch ist, einfach mal nicht erreichbar zu sein – egal ob telefonisch oder per Mail. Ein Kollege schaltet sein Smartphone inzwischen zu regelmässigen Zeiten einfach aus. Punkt.

Auch ich habe schon mehrfach festgestellt, dass ich mitunter effektiver und entspannter arbeite, wenn das Internet einmal ausfällt. Ein Umstand der bei mir im HomeOffice durchaus einmal vorkommt. Die Siedlung in der ich Wohne wird von den Telekommunikationsanbietern recht stiefmütterlich behandelt.

Ebenfalls in Sachen Erreichbarkeit werde ich zweimal im Jahr geläutert, wenn ich für ein paar Tage zu einem Rollenspieltreff im Schwarzwald fahre. Dort habe ich, selbst wenn ich wollte, keinen Empfang. Ab der ersten Sekunde vermisse ich überhaupt nichts und kann mich voll und ganz auf das Spielen konzentrieren. Wenn ich am Ende wieder in „die Zivilisation“ zurückfahre und das iPhone wieder Empfang hat, bemerke ich: Nichts.

Die Welt dreht sich trotzdem weiter und ausser ein, zwei, mässig wichtigen Mails hätte auch nichts eine ständige Kontrolle gerechtfertigt. An dem Punkt dachte ich mir immer: Irgendwie toll. Und eine Stunde später war ich schon wieder im alten Verhaltensmuster.

2. Gespräche über den gesellschaftlichen Bedarf nach Zeitmanagement

Das Thema Zeitmanagement, das heutzutage ja einen ganz großen Boom erlebt, ist für mich ein weiterer Grund, einmal genauer zu hinterfragen, ob denn noch Alles so richtig läuft. Ich finde es befremdlich, dass so ein großer Markt für all die „Zeitpäpste und Gurus“ besteht. Knapp 1800 Einträge zum Thema Zeitmanagement bei Amazon unterstützen die enorme Nachfrage.

Ist unser Leben wirklich dermassen kompliziert geworden, oder machen wir uns den Stress nicht größtenteils selber, eben weil wir ständig Alles und Jeden prüfen, kontrollieren und erreichen können.[/fusion_text]

3. Getting Things Done von David Allen

Seit einigen Tagen lese ich mich durch das GTD-Buch von David Allen. Ausschlaggebend war eigentlich, dass ich mir vor einiger Zeit „OmniFocus“ für den Mac besorgt hatte, um meine Aufgaben zu verwalten. Die Anwendung ist recht komplex und ich habe sie nie richtig eingesetzt, so dass ich mir dachte: Lies doch mal das Buch, dessen Konzept die Software aufgreift.

Was soll ich sagen: Ich finde den Ansatz und einige Vorschläge von Allen wirklich gut: Dem Gedächtnis nicht ständig mit dem belasten, was irgendwann erledigt werden muss, sonder alles auslagern in ein Ablagesystem (egal ob digital oder analog). Sobald der Kopf merkt, dass er sich nicht merken muss, was alles ansteht, hat er mehr Kapazität für andere, im jeweiligen Moment wichtigere, Dinge.

Andererseits erschrecken mich dann Aussagen wie „der normale Mensch hat zwischen 50 und 150 Dingen, die er als nächstes tun soll/muss. Sein gesamtes Leben, also privat als auch geschäftlich, betreffend.

150 Dinge!

Die ich mir alle aufschreibe und sukzessive erledige, bevor X neue erscheinen. Das klingt nach Sisyphos.

Alleine die Tatsache, dass nahezu ein Kult um solch ein Prinzip der Selbstverwaltung entstehen kann, befremdet mich erneut. Nicht die Tatsache, dass sich jemand Gedanken dazu macht, wie man die heutigen Probleme lösen kann, sondern: Was ist das für allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung, in der solche Ansätze scheinbar nötig und gefragt sind.

Ich gebe dem ganzen dennoch aus Interesse einmal eine Chance, aber schon jetzt bekomme ich irgendwie Bauchschmerzen bei der Vorstellung, mein Leben derart akribisch zu verwalten. Ich bin ein Mensch. Da dürfen Dinge aus der Reihe tanzen und auch mal vergessen gehen.

4. Der Film Speed

Der Film „Speed“ von Florian Optitz, der vor kurzem auf Arte lief, hat mich dann endgültig zu meinem Entschluss gebracht, endlich mal abzuschalten. Hierzu nicht viele Worte, sondern nur der Link zum Film. Aus der Arte Mediathek dürfte er inzwischen wieder verschwunden sein, dennoch lohnt es sich außerordentlich, ihn sich z.B. Auf iTunes zu leihen.

5. Mehr Mensch sein

Der letzte Punkt, der in meine Entscheidung hineinspielt, etwas an meinem digitalen Konsum zu ändern, ist der Wunsch, wieder mehr Mensch zu sein. Über die Jahre hinweg wurde mein Leben durch all die, mitunter wirklich nützlichen, Entwicklungen mehr und mehr digital:

  • Erinnerungen: Macht das Smartphone
  • Telefonnummern: Merkt sich das Smartphone. Nicht mal die wichtigsten Nummern merke ich mir mehr. Früher konnte ich die Nummern nach zwei Mal wählen auswendig.
  • Ich finde einen Ort nicht: Karten-App. Früher kam man mit Leuten ins Gespräch.
  • Ich kenne im Ausland eine Vokabel nicht: Wörterbuch-App. Ging auch mit umschreiben oder Händen und Füßen

Natürlich sind die Entwicklungen mitunter großartig und enorm hilfreich. Derzeit lerne ich wieder intensiv französisch und habe mir eine Tabelle mit Vokabeln gemacht, die ich am Mac eintippe und dann automatisch auf iPad und iPhone synchron habe und so jederzeit spontan in der Bahn, beim Warten etc. ein wenig wiederholen kann.

Aber ich möchte einfach gerne wieder mehr „aus eigener Kraft“ tun, ohne eine Maschine, die mir alles Denken abnimmt. Ein wenig von der Abhängigkeit verlieren, in die ich mich so gerne und freiwillig begeben habe und meine Umwelt wieder intensiver wahrnehmen.

Fazit

Ich möchte die digitale Entwicklung in Form von Smartphones und des Internets überhaupt nicht verteufeln. Beides liefert uns fantastische Möglichkeiten der Informationserfassung und Verwaltung. Aber ich möchte für mich wieder ein Stück mehr „analoge Welt“ in mein Leben bringen. Eine gesunde Mischung aus nützlicher digitaler Technik und menschlicher Unabhängigkeit. Der Feldversuch soll mir zeigen, inwiefern es klappt, meine Abhängigkeit loszuwerden.

Was ist Deine Meinung?

Empfindest Du Dein Smartphone manchmal auch als Stressfaktor? Welchen Stellenwert nimmt es für dich ein?

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