Design

Projektbericht »schuld bewusstsein«

Nach langer Zeit kann ich hier endlich wieder einmal etwas aus der kreativen Ecke berichten anstatt aus der pädagogischen. Und dann habe ich damit auch noch persönliches Neuland betreten.

Alles begann mit Kaffee und Kuchen

Im Juli 2020 sass ich mit Sonja Weichand, einer befreundeten Regisseurin und Autorin, im sehr empfehlenswerten »Nähcafe Edeltraud« in der Würzburger Innenstadt. Aus einem nette Plausch wurde schnell bitterer Ernst, als Sonja mir von ihrem Debütroman »schuld bewusstsein« erzählte, dessen Manuskript gerade auf dem Weg ins Lektorat war. Spätestens als sich herausstellte, dass sie wohl vorhat, ein vorgefertigtes Template von BoD (Book on Demand) für die Gestaltung zu wählen, musste ich intervenieren. Ein mit Herzblut geschriebenes Erstlingswerk verdient meines Erachtens mehr als ein Layout von der Stange. Zudem juckte es mir gewaltig in den Fingern, endlich mal wieder etwas gehaltvoll Kreatives zu erarbeiten. Seit meinem Berufswechsel vom Designer zum Grundschullehrer fehlt mir die kreative Auftragsarbeit mit regelmässigem Kundenaustausch durchaus ab und an.

Die Typografie: Schrift für Schrift zum Ziel

Während ich das Buch las (und anhörte…) entwickelte ich parallel ein typografisches Konzept. Die Zielsetzung war es, einerseits eine zur Thematik und der Zeit (Deutschland zum Ende des zweiten Weltkriegs) passende Schrift zu finden, die dennoch eine moderne Ausstrahlung besitzt. Da mein letztes typografisches Projekt schon eine Weile her war, habe ich mich dazu im typografie.info-Forum inspirieren und etwas beraten lassen. Wie immer war es dort ein sehr angenehmer und anregender Austausch. Am Ende waren es einige verschiedene Schriften die ich in verschiedener Größe, Zeilenabstand und verschiedenen Satzspiegeln getestet hatte. Um eine Auswahl zu nennen:

Marat, Noe, Rooney, Tisa und Alkes

Die Schriften der Wahl.

Weitere Schriften die aber nicht weiter verfolgt wurden waren: »Jenny, Karmina, Clavo, Rivas, Quador, Quiroga, Radiata, Alda, Arnhem, Lyon, Elena, Kievit, Allrounder, Edit, und Tabac.« Ihr seht, alleine die Schriftwahl hat mich (und Sonja) da eine ganze Weile beschäftigt. Aber seien wir ehrlich: Wenn es etwas Dominantes und Wichtiges in einem Buch gibt, dann ist es doch auf jeden Fall eine gefällige und passende Schriftart.

Das Rennen machte am Ende jedenfalls die Alkes Regular.

Das Erstellen des Satzspiegels ging dann letztlich verhältnismässig schnell von der Hand, zumal von Anfang an klar war, dass es hier keine großen Experimente geben soll. Lediglich nach dem Probedruck mussten wir den Bundsteg noch etwas vergrößern, da die Seiten nach Innen hin doch mehr Zugabe benötigten, als erwartet.

Der endgültige Satzspiegel.
Der endgültige Satzspiegel.

Das Cover

Weitaus zeitintensiver war, erwartungsgemäss, das Gestalten des Covers von »schuld bewusstsein«.

Bis auf einige Reibungspunkte zum Ende hin waren Sonja und ich glücklicherweise weitestgehend auf einer Welle, was die Designsprache betraf. Bereits die ersten Entwürfe, die ich ihr schickte, legten eine gute Basis für die anschließenden vielfältigen und konstruktiven Gespräche.

Skizzieren und Nostalgie

Nach den ersten Skizzen kam ich schnell wieder in diese motivierende Spirale, die sich bei mir während des Skizzierens mit dem Bleistift entwickelt. Mit jeder Skizze sprudelten neue Ideen, es folgt eine Skizze nach der anderen, eine Ergänzung hier, eine Variante dort. Über manch einen Unsinn musste ich dann direkt beim Zeichnen schmunzeln, aber auch im größten Mist steckt oftmals ein Körnchen Inspiration für ein anderes Projekt. Also alles immer gut archivieren. 🙂

Spätestens mit dem Öffnen meiner COPICS-Schachtel und dem folgenden dezenten Geruch nach Lösungsmittel, der aus den Filzspitzen – und einem auslaufenden Stift – drang, war ich wieder voll und ganz in meiner »alten Heimat«, dem Grafikdesign gefangen: Vertrautes Terrain mit großem Wohlfühlfaktor.

Verschiedene schnelle Skizzen zur Ideenfindung.
Verschiedene schnelle Skizzen zur Ideenfindung.

Variantenvielfalt

Aus den verschiedenen Varianten stellten sich drei heraus, die initial diskutiert wurden:

  • Fotografische Variante mit realen Fotos der Protagonistinnen über drei Generationen hinweg
  • Eine grafische Variante
  • Eine typografische Variante

Fotografische Variante

Diese Version wurde einstimmig direkt beerdigt. Zum einen wäre es schwer gewesen, passendes Bildmaterial zu finden, zum anderen hatte Sonja klare Vorstellungen wie die Figuren in Ihrem Roman »schuld bewusstsein« aussähen und wir wollten dem Leser auch kein Bild der Personen vorgeben. Bei einem Buch zu einem Film wäre das anders gewesen, so aber wollten wir das innere Bild der Leserschaft nicht beeinflussen.

Grafische Variante

Betrachten wir das zweite Konzept. Hier wollte ich mit einer flächigen, plakativen und zugleich farblich auffälligen Darstellung arbeiten. Für den geschichtlichen Aspekt wählte ich eine Sanduhr, die zudem auch die vielschichtigen Zeitebenen des Buches bildhaft aufnehmen sollte. Dass die Sanduhr im oberen Bereich eher einer Fliegerbombe gleicht war ein weiteres bewusstes Gestaltungsmerkmal. Verschiedene Ausarbeitungen fokussieren sich zudem mehr oder weniger auf den Ort der Handlung des Buches »schuld bewusstsein«: Die Stadt Würzburg. Am Ende waren wir uns aber einig, dass dieser Ansatz zu kleinteilig und verspielte würde.

Verschiedene Ansätze der grafischen Variante.
Verschiedene Ansätze der grafischen Variante.

Typografische Variante

Bleibt also noch die typografische Variante. Hier ging es mir darum mit viel freier Fläche und einer dynamischen Linienführung den Blick auf die auffällige Schrift zu lenken. Den Titel wiederum habe ich bewusst in zwei verschieden Schriftarten gestaltet. Zum einen eine gebrochene Schrift, die Wilhelm Klingspor Gotisch, als auch eine zeitlose moderne Schrift, die Futura. Dabei war es mir wichtig, nicht ein Wort in der einen und das andere Wort in der zweiten Schriftart zu setzen, sondern jedes der beiden Wörter in beiden Schriftarten. Die Idee dahinter war, die zwei Zeitebenen zwischen denen im Roman kontinuierlich gewechselt wird, aufzugreifen: Einmal das Jahr 1945 mit der Klingspor und das Jahr 2019 mit der Futura.

Verschiedene Ansätze der typografischen Variante.
Verschiedene Ansätze der typografischen Variante.

Interessant ist an dieser Stelle noch ein historischer Ausblick: Die Frakturschrift wird gerne der Nazizeit und dem Hitlerregime zugeordnet – als »Nazischrift« sozusagen. Tatsächlich aber hat Hitler diese Schriften, die er als »Schwabacher Judenlettern« höchstpersönlich über Seinen Stellvertreter Bormann per Erlass verboten:

Zu allgemeiner Beachtung teile ich im Auftrag des Führers mit:
Die sogenannte gotische Schrift als eine deutsche Schrift anzusehen und zu bezeichnen ist falsch. In Wirklichkeit besteht die sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher-Judenlettern. Genauso wie sie sich später in den Besitz der Zeitungen setzten, setzten sich die in Deutschland ansässigen Juden bei der Einführung des Buchdrucks in den Besitz der Buchdruckereien, und dadurch kam es in Deutschland zu der starken Einführung der Schwabacher-Judenlettern.
Am heutigen Tage hat der Führer … entschieden, daß die Antiqua-Schrift künfig als Normalschrift zu bezeichnen sei. Nach und nach sollen sämtliche Druckerzeugnisse auf diese Normalschrift umgestellt werden. Sobald dies schulbuchmäßig möglich ist wird in den Dorfschulen und Volksschulen nur mehr die Normalschrift gelehrt werden. …

Bei Interesse könnt ihr hier das Originaldokument einsehen.

Hier zudem noch eine ausführlichere geschichtliche Erläuterung zu gebrochenen Schriften, der Fraktur und Hitler.

Ein Newcomer raucht auf

Nachdem wir uns weitestgehend auf die typografische Ausführung zur weiteren Ausarbeitung geeinigt hatten, rückte Sonja dann nochmals ein Wunschmotiv für das Cover, nämlich Rauch, in den Fokus.

Der Kunde ist Königin, also gab es mit diesem Sujet noch einige Probeläufe. Zuerst mit klarem Fokus auf den Rauch.

Dieser Fokus löste sich dann nach und nach auf und es entstand nach eine Hybrid-Variante aus Rauch und Typografie, die letztlich auch das Rennen gemacht hat. Das Ergebnis seht ihr weiter unten.

Verschiedene Cover-Ansätze mit Rauch.

Die Farbe

Auch hinsichtlich der Farbe gab es verschiedene Ansätze. Am Ende fiel die Wahl auf einen kräftigen Rotton mit leichtem Orange-Stich. Gerne hätten wir mit einer besonders knalligen Signalfarbe gearbeitet, doch leider war es bei BoD nicht möglich Sonderfarben zu drucken. (Wahrscheinlich hätte es auch den Kostenrahmen gesprengt).

Verschiedene Farbvarianten.
Verschiedene Farbvarianten.

Das fertige Cover

Ohne weitere Worte:

Das fertig ausgearbeitete Buchcover mit Vorder- und Rückseite.
Das fertig ausgearbeitete Buchcover mit Vorder- und Rückseite.

Das Endprodukt

Anfang Oktober war es soweit, dass wir das Cover und das gesetzte Manuskript für einen ersten Probedruck an Book on Demand schicken konnten. Zu unserer Freude kam das Belegexemplar bereits nach etwa 10 Tagen.

Ich richtete mir einen Besuch in Würzburg ein, gemeinsam betrachteten wir das Buch und waren zufrieden, dass es nahezu keine Fehler aufwies. Theoretisch hätte es so bereits freigegeben werden können, aber einige Details störten uns dennoch:

  • Der Bundsteg (Rand zur Innensteite des Buches hin) war uns etwas zu schmal. Wir waren der Meinung, ein paar Millimeter würden dem Buch hier sehr gut tun.
  • Anstatt des reinreißen Papiers entschieden wir uns für ein gebrochenes Cremeweiß.

Zwei Details, die leider doch eine große Auswirkung hatten: Das Papiervolumen nahm zu, der Satzspiegel änderte sich dezent. Am Ende musste ich das gesamte Dokument noch einmal neu bearbeiten, um für einen typografisch korrekten Umbruch zu sorgen und um Hurenkinder und Schusterjungen weitestgehend zu vermeiden.

Nun, wo ich das fertige Exemplar in den Händen halte muss ich sagen:
Es war den letzten Kraftakt wert. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

Sonja auch.

Und Ihr?

Ansicht Cover vorne
Ansicht Cover vorne
Ansicht Cover hinten
Ansicht Cover hinten
Ansicht Cover vorne und Buchrücken
Ansicht Cover vorne und Buchrücken

Informationen zu Buch und Autorin

Zum Abspann noch ein kleiner Werbeblock für den guten Zweck.

Die Autorin

Sonja Weichand, geboren 1984, studierte an der Universität Würzburg Germanistik und Geschichte.

Als Regieassistentin und Regisseurin arbeitete sie sechs Jahre lang am Theater Augsburg, Theater Vorpommern sowie in freien Projekten. Als wichtige Station erlebte sie ihre Zeit in Berlin, in der sie sich als Autorin selbstständig machte.

In den folgenden Jahren erschienen vier ihrer Theaterstücke im Hofmann-Paul-Verlag und deutschen theater verlag. Heute lebt sie wieder in ihrer Heimatstadt und arbeitet als Dozentin für Literarisches Schreiben an der Universität Würzburg. Neben Theaterstücken schreibt sie Gedichte, Kurzgeschichten und Satire.

„schuld bewusstsein“ ist ihr Debütroman.

Sonja im Netz

Das Buch

Anna weiß von ihrer Oma Rose-Marie: Verantwortung ist der erste Schritt zur Wiedergutmachung einer großen Schuld. Rose-Marie war unter Hitler überzeugte Nationalsozialistin und Führerin beim BDM-Werk ‚Glaube und Schönheit‘. Um ihre Geschichte aufzuarbeiten, reist Anna nach Würzburg. Sie will ein Buch über das Leben ihrer Großmutter schreiben. Doch die Leben der beiden Frauen verweben sich immer stärker ineinander: Was hat Rose-Marie im „Dritten Reich“ getan? Welches Geheimnis steckt hinter der Geschichte von Annas Opa? Und was verschweigt sie sich selbst? Während 1945 alles unaufhaltsam auf den Untergang Würzburgs zusteuert, muss sich Anna in der Gegenwart ihren eigenen psychischen Abgründen stellen.Ein Familienroman über das große Wort Schuld, Ideologien und die Befreiung davon, über das Hier und Jetzt von Verantwortung und über Liebe, die Generationen verbindet.

Quelle: VLB

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